Die Straße , die alte Straße , sie ist nicht mehr da . Damals , vor langer Zeit , wann es
noch spannend war in dieser Welt zu sein , war die Straße meine Welt , war das
einzige , anscheinend ewige , Zentrum meiner Existenz . Geboren , aufgewachsen
und gestorben bin ich in dieser Straße . Im Krieg unter dem dauernden Bombenhagel
der feindlichen Luftwaffenmacht habe ich vier Jahre im Bunker der Straße geschlafen
, damals waren wir noch alle unter uns , wir kannten uns gut , und nach all diesen
Jahren gezwungener Intimität kannten wir uns noch besser . Als junger Mensch habe
ich im langen Kriegszustand nicht nur den verdorbenen Rausch des falschen
Heldentums miterlebt , ich trug eine Uniform und hatte sogar auch eine kleine Pistole
und einen Ausweis auf den ich sehr stolz war , sondern auch stufenweise und zum
Teil scheu entdeckt wie schön es ist verbotene Früchte zu geniessen . Das nächtliche
Leben zusammen mit all diesen näheren und weiteren Nachbarn , eine Art von
Kriegskommunismus mit archaischen Zügen , hatte mich zu einen Experten von
verschiedenen und ziemlich hinterhältigen Systemen der Unanständigkeit gemacht .
Niemals hätte ich so viel nackte Weiber gesehen und gespürt als in diesen verrückten
aber auch magischen Jahren meines Lebens . Dann war auf einmal der Krieg vorbei ,
und wir waren alle Sozialisten geworden . In der Straße bauten die neuen Behörden
eine Universität und rissen das alte Kloster ab . Ich studierte Wirtschaft am Anfang ,
aber nach dem Tod meines Vater entschied ich mich dennoch für meine tiefe Liebe ,
die Naturwissenschaften , und studierte mit guten Erfolg Biologie und Chemie . Die
Jahren gingen vorbei , es starb auch meine Mutter und dann kam die Heirat mit einer
Krankenschwester und die vier Kinder , drei Jungen und ein Mädel . Ich arbeitete im
Karl Marx Forschungsinstitute , nicht weit weg von meiner Straße . Mein Fachgebiet
am Ende wurde die Botanik , und viele Fachbücher die in verschieden Sprachen
übersetzt worden haben mir einen kleinen aber festgestellten internationalen Ruf
gebracht . Ich war niemals im Ausland gewesen , habe niemals die Stadt verlassen ,
habe immer in der Straße gewohnt , da bin ich geboren und da bin ich gestorben .
Diese Straße hatte ein Geheimnis , und vielleicht werde ich darüber noch etwas
erzählen . Erster Entwurf der Erzählung "Der Laden des grauen Herrn Grabdorf"
von Roberto Minichini . Mainz , 19 Januar 2014
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